Zeit: Gegenwart

Ort: Unterleuten, ein Dorf in der Prignitz/Brandenburg

Streitparteien: Kron, Rentner und Kommunist und Gombrowski, Geschäftsführer der Ökologica GmbH, beide ehemalige Mitglieder der LPG in Unterleuten, beide nicht beliebt im Dorf.

Juli Zeh hat eine eigene Website zu „Unterleuten“ angelegt, um ihr Dorf noch gegenwärtiger und realer wirken zu lassen. Dort werden die beiden Kontrahenten folgendermaßen charakterisiert:

„Name: Kron
geboren: 1954 in Unterleuten
Beruf: ehemaliger Brigadeführer in der LPG »Gute Hoffnung«
Beziehungen: Krons Frau hat in den Westen »rübergemacht«, als Tochter Kathrin (heute 35) zwei Jahre alt war. Schwiegersohn Wolfi, Enkelin Krönchen (5). Schon immer ist Kron der Erzfeind von Gombrowski.
Besondere Merkmale: Steifes rechtes Bein, läuft mit Krücke.
Hervorstechende Eigenschaften: Liebt Krawall und macht Krawall

Kron besaß ein gutes Gedächtnis, was eher Strafe als Segen war. Ein gutes Gedächtnis arbeitete als ständiger Protokollant der Ungerechtigkeit. Es machte das Staunen unmöglich und lehrte zu schweigen. Niemand mochte Menschen, die sich alles merkten. Kron, der Chronist. Einer, der sich weigerte zu vergessen, und dafür mit Einsamkeit bezahlte.“ Er kommt als einziger Zuhörer zu den Gemeinderatssitzungen, kritisiert, prüft und verlangt Nachweise. Kron will an seiner Enkeltochter Krönchen alles wiedergutmachen, was ihm misslungen war.

„Name: Rudolf Gombrowski
geboren: 1947 in Unterleuten
Beruf: Landwirt, Geschäftsführer der Ökologica GmbH, früher Vorsitzender der LPG »Gute Hoffnung«
Beziehungen: verheiratet mit Elena Gombrowski, geb. Niehaus.
Beste Freundin: Hilde Kessler. Jeder im Dorf schuldet ihm was.
Besondere Merkmale: Sieht aus wie sein eigener Hund, eine Mastiff-Hündin
Hervorstechende Eigenschaften: Laut und manchmal grob, aber schlauer als man denkt.

Wenn alle zufrieden seien, sagte Gombrowski, hätten am Ende auch alle den größten Nutzen. Das sei das Schöne in Unterleuten. Man schaffe es immer, sich gütlich zu einigen. Gombrowskis Leben war ein Kampf für die Ökologica, ein Kampf für Unterleuten und für die ganze Region, während sich alle anderen die Zeit damit vertrieben, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen…“ Gombrowski hat die LPG als Vorstand in eine GmbH überführt und damit aus seiner Sicht die Arbeitsplätze gerettet. Aus Krons Sicht hat er sie sich unter den Nagel gerissen. Er wird für einen Kapitalisten gehalten, weil er aus einer Grundbesitzerfamilie stammt, ist es aber nicht. Er kämpft für Unterleuten, für seine Frauen, niemand dankt es ihm. Er trifft seine Entscheidungen gern allein.

Dieser Roman ist ein einziger Konflikt und lebt von den verschieden verknüpften Dorfkonflikten. Das „Sich-gütlich-Einigen“ gelingt eben meistens nicht, ist mehr Wunsch denn literarische Wirklichkeit. Insofern habe ich lange überlegt, welchen Konflikt ich herausgreifen soll. Natürlich bieten sich die Beziehungskonflikte der „rausgezogenen“ Städter-Paare an und sehr gereizt hat mich eine Konfliktmoderation in der Bürgerversammlung zum Windpark zu gestalten, aber letztlich ist der Ursprungskonflikt der interessanteste und wichtigste im Roman. Er ist es, der die Eskalation und Dynamik zwischen Kron und Gombrowski antreibt. Dass es schlimm kommen kann, erzählt das Buch. Dass es niemand bis zum Schlimmen denkt, erzählt schon der Klappentext: „Und obwohl niemand etwas Böses will, geschieht Schreckliches.“ In der Konflikt-Fachsprache nennen wir das die „Blackbox“, für die niemand die Verantwortung übernehmen will, weil jeder „nur“ auf die Ungeheuerlichkeit des Anderen reagiert. Insofern will der Zeitpunkt meiner Einmischung wohl überlegt sein.

Ich habe mich für den Moment entschieden, bevor die Bürgerversammlung stattfindet, um die Bürger_innen über den kommenden Windpark zu informieren und die Entscheidung darüber vorzubereiten, auf welchem möglichen Grundstück der Windpark entstehen soll. Wie auch in der Realität sind viele Bürger_innen grundsätzlich gegen einen Windpark (Es gibt im deutschsprachigen Raum mehrere Mediationen zum Thema Windpark). Die beiden Protagonisten wundern sich darüber, dass sie keine Informationen darüber haben, worum es in der Versammlung geht. Besonders Gombrowski, der sogar mit Bürgermeister Arne Seidel Skat spielt, findet das ungewöhnlich. Hier deutet sich schon an, dass der Bürgermeister, obwohl von den meisten im Dorf auf Seiten Gombrowskis gedacht, doch nunmehr in die Mitte rückt und unparteiisch wirkt. Er ist also für mich der geeignete Mann, um die Mediation zu initiieren und zu begleiten, aber nicht unparteiisch und kompetent genug, um sie durchzuführen. Er holt sich die Mediatorin Frau Leutenegger an seine Seite und bittet als „Übersetzerinnen“ der jeweiligen Partei Tochter Kathrin für die Kron-Seite und Betty Kessler für die Gombrowski-Seite hinzu. Die Mediatorin hat darauf aufmerksam gemacht, dass Jahrzehnte alte Dorfkonflikte nicht einfach so beigelegt werden, sondern mehrere Ebenen der Vermittlung brauchen. Die Frauen schildern ihre Sicht der Dinge und erweitern den Horizont der Streitenden.

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