Zeit: Das letzte Jahr der DDR, Sommer 1989

Ort: Betriebsferienstätte „Zum Klausner“ in Kloster auf Hiddensee

Streitparteien:

Erzähler Edgar „Ed“ Bendler, ein Literaturstudent, lange Haare, Thälmannjacke, trauert um seine verstorbene Geliebte

und Nebenfigur: René Salzlach, der Eisverkäufer, mit der Tochter des Klausnerchefs, der unsichtbaren Monika, liiert, „ein Gesicht wie Rilke“

Situation: „Wir sind alle auf irgendeine Weise Schiffsbrüchige“, so der Name für die Aussteiger, die auf Hiddensee Zuflucht vor dem System suchen und eine Flucht über die Ostsee erwägen. Beide Personen sind in einer Gaststätte am Meer angestellt und jeden Tag im starken Stress, weil zur Mittagszeit, viele Tagesgäste den Klausner aufsuchen. Ed ist neu, wurde gerade probeweise vom Klausnerdirektor Krombacher aufgenommen und kurz eingewiesen. Er versteht die informellen Regeln noch nicht. Außer Kruso, ebenfalls Personal im Klausner, die gute Seele dieser Gesellschaft, schweigen Ed alle an.

Erster Vorfall: René zerrt Ed aus der Gaststube „von hinten am Hemd gepackt“, weil er den falschen Weg zur Toilette benutzt. Daraufhin notiert Ed in seinem Tagebuch, dass er sich vorsehen will vor René. Ed resümiert den Vorfall als eigenes Verschulden „offensichtlich war die Gästetoilette während der Öffnungszeiten tabu.“ Vor allen Gästen so brutal zurechtgewiesen worden zu sein, kränkt ihn. Und das Missverständnis kränkt ihn auch: Er wollte alles richtig machen, dem Eindruck vorbeugen, „er stehle sich während der Arbeitszeit auf sein Zimmer“, wenn er die Diensttoilette auf der Rückseite benutze. Rüde auch der Ton, mit dem René ihn zurechtweist: Er solle doch „in das verdammte Meer zum Scheißen“ gehen.

Zweiter Vorfall: Ed wird in der Runde der literaturbegeisterten Esskaas (Saisonkräfte und „sich selbst verfassenden Schriftsteller“) des Klausners aufgenommen. Am Personaltisch werden ihm alle mit Spitz- und richtigem Namen von Krombacher, dem Gaststättenleiter vorgestellt. René wird ihm zum Schluss als Schwiegersohn präsentiert. Währenddessen wendet sich René so „angewidert“ ab, dass Ed ihm nicht mehr ins Gesicht gucken mag.

Im Folgenden wird deutlich, dass René Ed ablehnt, warum das so ist, bleibt im Roman offen.

Wir stellen uns vor, dass Krombacher, als Direktor, um den sozialen Frieden und einen reibungslosen Ablauf in der Gasstätte bemüht, die sich abzeichnende Verschärfung wahrnimmt und einen Mediator aus der Nachbarschaft des Ärztehauses ruft, der gleich neben der Inselärztin, sein Büro hat. Fußnote (Zu DDR-Zeiten gab es keine Mediation, aber die sogenannten Konfliktkommissionen, die einberufen wurden, wenn jemand in Konflikt mit dem Betrieb oder der Nachbarschaft geriet (Schiedskommissionen, um den Konflikt außergerichtlich zu klären. Diese Idee ging zurück auf Lenin: „Wir müssen selbst Richter sein. Die Bürger müssen in ihrer Gesamtheit am Gerichtswesen und an der Verwaltung des Landes teilnehmen.“)

Auftritt Mediator M.:

René und Ed sitzen vor ihm, den Kopf gesenkt an einem abseits gelegenen Tisch nach Dienstschluss. M.: Der Krombacher hat mich bestellt, ich soll schauen, ob ich Euch unterstützen kann bei der Konfliktklärung. Er macht sich Sorgen, um die Stimmung in der „Besatzung“. Was ist los?

Ed: Ich fühlte mich von Anfang an schlecht behandelt von ihm. Nach einer Weile haben mich alle aufgenommen und akzeptiert, nur René hat mich behandelt wie einen Hund. Wie „Krusos Hund“, so nannte er mich und mich brutal auf Regeln hingewiesen, die ich noch gar nicht kennen konnte. Wo ich zur Toilette zu gehen habe, wenn Gäste da sind.

René: Du bist nicht der Erste, der hier meint, irgendwelche Rechte zu haben. Vielleicht hättest Du mal fragen sollen, wie´s hier läuft und nicht nur wie ein Sklave hinter Kruso herrennen. Als ob, der hier das Sagen hätte.

M: Was meinen Sie mit, „ er ist hier nicht der Erste?“

Renè: Na, vor ihm war der Speiche da, den ich auch nicht leiden konnte mit seiner Unzuverlässigkeit. Eines Tages war er verschwunden und wir mussten wieder jemanden einarbeiten. Die Abwäscher sind die Unzuverlässigsten. Und dann dieses nervige „Genau“, was der (deutet auf Ed) dauernd antwortete.

M.: Ed hat Sie an seinen Vorgänger erinnert und Sie haben vermutet, dass er sich genauso verhält wie dieser und eines Tages verschwindet, deswegen haben Sie ihn frühzeitig beobachtet und ihn auf seine Fehler hingewiesen.

R.: Genau!

M.: (zu Ed gewandt) Sie hören, was René sagt. Was wissen Sie über Ihren Vorgänger?

E.: Nicht viel, ich habe ihn auf einem Foto gesehen, ich sitze auf seinem Platz und habe seine Brille ausprobiert, weil ich ein Paket mit seinen Sachen in meinem Zimmer gefunden habe. Ich weiß auch nur, dass er verschwunden ist. Mir ist Zuverlässigkeit wichtig. Ich fühle mich von René ungerecht behandelt. Auch dass er mich „Hündchen und Tüntchen“ nennt, als ob ich was mit Kruso hätte. Er hat Monika und ich soll allein bleiben? Kruso ist mein Freund und fertig.

M.: Ich höre, dass Sie beide eine anstrengende Arbeit im Klausner machen und den Alltag nicht gern allein durchstehen.

  1. und R. nicken.

M.: Wie können Sie es schaffen, sich weniger zu stören und mehr aus dem Weg zu gehen?

E.: Ich würde ja gern alles richtig machen, wenn ich´s nur wüsste. Außer Kruso erklärt mir ja niemand was. Er soll mir ein für alle Mal sagen, welche Regeln es hier gibt und dann versuche ich es. Das ist mein Angebot!

R.: Die Liste ist aber lang.

M.: Na, dann fangen Sie mal an, ich notiere…

R: Er soll sich zwischendurch mal unter den Armen waschen und nicht mit fettigem Abwaschwasser. Er soll die Diensttoilette benutzen. Er soll nicht mehr „Genau“ antworten, wenn man was zu ihm sagt. Er soll Krombacher, Cavallo oder mich fragen und nicht nur Kruso, wie das hier läuft.

E.: (unterbrechend) Dann lässt Du mich aber auch in Ruhe, meinen Abwasch und die Vergabe machen!

R.: Das interessiert mich sowieso nicht, Euer Geheimbundgetue.

M.: Sie sind nicht Teil der Aktivitäten um die Versorgung der Aussteiger hier auf der Insel?

R.: Nein, das interessiert mich nicht. Das ist Krusos Weltrettungs-Kram! Ach, und eh ich´s vergesse: Monika ist meine Freundin und Du brauchst Dich gar nicht an ihr Zimmer in der Nacht zu heranzuschleichen.

M.: (zu Ed) Wie stehen Sie zum letzten Vorschlag von René?

E.: Ich habe auch eine Geliebte und interessiere mich nicht für Monika. Ich glaube eher, dass er eifersüchtig auf meine Freundschaft mit Kruso ist.

M.: (zu R. gewandt) Wie sehen Sie diese Freundschaft?

R.: Seit Ed da ist, macht Kruso noch mehr Wind um diese ganze Vergabesache mit den Obdachlosen. Das ist doch alles Quatsch. Bald sind alle weg, abgehauen. (Ich hoffe, das ist hier wirklich vertraulich?)

M.: Ja, dieses Gespräch ist vertraulich. Das heißt, die Freundschaft zwischen Ed und Kruso ist Ihnen egal, aber deren gemeinsame Aktivitäten stören Sie?

R.: Ja, Kruso missioniert hier alle, mitzumachen. Das kann jetzt mal aufhören, ist doch eh alles umsonst.

M.: Kruso ist jetzt nicht anwesend. Mit ihm können wir also nichts regeln. Was brauchen Sie, um die beiden gewähren zu lassen?

R.: Ich möchte aus allem rausgehalten werden.

E.: Meinetwegen, das kann ich Kruso auch sagen. Ich weiß aber nicht, wie er dazu steht.

M.: Können wir das jetzt so erst mal festhalten? Wir treffen uns in einer Woche noch mal, um zu gucken, ob sich die Vereinbarung bewährt und was Kruso sagt, zum Wunsch von René, in Ruhe gelassen zu werden mit allen Aktivitäten um die Vergabe und Versorgung der Hilfsbedürftigen herum.

Beide: Einverstanden. E.: In einer Woche gleiche Stelle. R.: Na, gut.

Alle ab.

Was weiter im Roman passierte:

Im Roman gab es keine Mediation. Durch den Ausruf Eds „Das Dumme Schwein“, der vielleicht die Suppenkelle meinte, die er schon einmal als Feind erlebte, fühlte sich René angesprochen und verprügelte Ed, um ihn dann zum Hafenbecken zu stoßen und dort mit einem Stock unter Wasser zu halten. Ed erlitt einen Nasenbeinbruch und einen Augenhöhlenriss. Er wäre ohne die Rettung durch Freunde im Hafenbecken ertrunken. René verschwand nach dieser Eskalation und wurde später tot aus dem Wasser geborgen. Es bleibt im Roman unklar, wer Ed gerettet hat und wie René gestorben ist. Es wird vom Hygieneoffizier Rebhuhn eine Flucht über die Ostsee angedeutet. Auf jeden Fall ist diese schwere Gewalttat dramaturgisch wichtig für den Roman und gehört mit zum Zerfall der Umgangsformen, die zeitgleich mit dem Exodus der DDR verläuft.